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Was ist 'Recht und Politische Ökonomie'?

Recht ist der "Code des Kapitals". Nicht nur global, sondern auch in Europa stabilisieren rechtliche Regelungen ökonomische Beziehungen. Denkweisen der Wirtschaft schreiben sich tief in die Dogmatik der Rechtswissenschaft ein.

Published onMar 01, 2022
Was ist 'Recht und Politische Ökonomie'?
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Dokumentation der Auftaktveranstaltung

Aufnahme der Auftaktveranstaltung am 27.4.2022. Foto von Betram Lomfeld im Intro (c) Kurzeder. Schnitt: Lucas Kannenberg

Zentrale Thesen:

  1. Die LPE-Perspektive ermöglicht, den Blick auf die zentrale Rolle des Rechts bei der (Re)Produktion gesellschaftlicher Macht und Ungleichheiten bzw. der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur zu schärfen. Dies bedeutet eine Argumentation nicht nur im genuin wirtschaftlichen Bereich oder Wirtschaftsrecht zu entfalten, sondern LPE als kritische Rechtstheorie der Gesellschaft zu begreifen und für vielfältige (Rechts-)Bereiche durchzuspielen.

  2. Dabei gilt: Ökonomie macht Recht UND Recht macht Ökonomie - Ökonomie ist politisch geschaffen.

  3. LPE trifft auf einen Zeitgeist. Eine deutsche LPE-Debatte kann sich auf vielfältige Bezugspunkte und Theoriestränge beziehen und insofern einen sicheren Stand reklamieren. Gleichzeitig ist für LPE die zukünftige Perspektive entscheidend: aus der Analyse der gesellschaftlichen Ungleichheitsstrukturen und Umbrüche muss eine Orientierung folgen.

  4. Anders als in den USA ist in Deutschland der neoklassische Law & Economics-Ansatz weniger übermächtig. Stattdessen ist die deutsche Dogmatik zentral, die sich als frei von theoretischem und politischem Ballast präsentiert. Sie ist daher weniger offen und explizit durch ökonomische Vorannahmen geprägt, bleibt aber ein zentraler Ansatzpunkt, um soziale Fragen in Recht, Ausbildung und juristischer Tätigkeit zu integrieren.

Impuls Katharina Pistor: Konfiguration von Kapital durch Recht

Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Legal Theory of Finance. Im Anschluss hieran sind für Katharina Pistor verschiedene Begriffe zentral. Zum einen das Kapital als Vermögensgut, das aus einem Gut und der rechtlichen Codierung bzw. Konfiguration besteht. Zum anderen eben das Recht, das den Zugriff auf die staatlich institutionalisierte Zwangsgewalt ermöglicht und beschränkt.

Um aus dem Gut (einem Objekt, einer Idee etc.) Kapital zu machen, sind drei von vier rechtlichen Attributen erforderlich: Priorität (Rangfolge), Beständigkeit (zeitliche Ausdehnung), Universalität (räumliche und personelle Allgemeingültigkeit) und/oder Konvertibilität (Umwandlungsmöglichkeiten zu Staatsgeld, um Bestandsschutz zu gewährleisten).

Umgesetzt wird dies mit einzelnen rechtlichen Modulen aus dem Eigentumsrecht, dem Gesellschaftsrecht, dem Kreditsicherheiten, dem Konkursrecht und dem Vertragsrecht (sowie in den USA dem Trustrecht).

Dies geschieht konkret dann über Abgrenzungen und Einhegungen einzelner Güter wie Land, Daten, Wissen, Natur etc. und die Kreation von Rechtsfiguren und Rechtskonstrukten.

Eine wesentliche Rolle spielt dabei “Scaffolding” - private Anwaltskanzleien suchen die Lücken im Gerüst des Rechts (ohne die bestehenden Regulierungen zu verletzen). Entscheidende Institutionen sind die Rechtswahl, die Gerichtswahl, die Schiedsgerichtsbarkeit sowie staatliche Gerichte.

Hieraus ergibt sich ein demokratisches Problem bzw. ein Konflikt mit dem demokratischen Universalitätsanspruch - wenn sich mächtige Private das Recht hinbiegen, wie es ihren Privatinteressen nutzt.

Impuls Betram Lomfeld: Ideengeschichte und Theoriebezüge von Recht und politischer Ökonomie

Ausgangspunkt der Überlegungen sind die Darstellungen des Marktmechanismus. Dieser setzt bereits bei den Grundoperationen Eigentum und Privatrecht voraus. Begründet wird der Marktmechanismus aus der Problemstellung der öffentlichen Güter (Tragedy of the Commons): demnach würde der ungeregelte Zugriff auf öffentliche Güter zu einer Überanspruchung führen, wobei der Marktmechanismus die beste/einzige Lösung hierfür wäre.

Beispiel: In einem Dorf leben 8 Familien mit jeweils 5 Kühen, die diese auf der gemeinschaftlichen Kuhweide weiden lassen wollen. Jedoch können nur maximal 20 Kühe gleichzeitig auf der Weide grasen, ohne dass es zu einer Abnutzung kommt. Der Marktmechanismus privatisiert daher die Weideflächen, so dass alle ihre Kosten internalisieren.

Dies ist aber nur eine Scheintragödie. Denn anstatt allen private Eigentumsrechte zuzuteilen, könnte auch eine Regulierung eingeführt werden (Kuhquote), eine Genossenschaft gegründet werden (Gemeinschaftskühe), Staatseigentum begründet werden (Volkskühe) oder eine Gesamtprivatisierung geschehen (Kuh-AG). Es gibt also Alternativen!

Daher ist beispielsweise auch Rechtsvergleichung ein wichtiges LPE-Mittel.

Die vorherrschende Ansicht hat sich über lange Zeit hinweg herausgebildet. Früher war politische Ökonomie noch der Begriff für Wirtschaftswissenschaften bzw. Ökonomie schlechthin. Das “politische” fiel mit Léon Walras weg - es kam zum Cut und zur Dominanz der „reinen“ Ökonomie. Seitdem gibt es in der Ökonomie vor allem noch Stränge rund um Mikro- und Makroökonomie. Konkret ausgewirkt hat sich dies im deutschen Recht beispielsweise im Hinblick auf die Legalität von Derivaten entgegen des allgemeinen Glücksspiel- und Wettgrundsatzes aus dem BGB (vgl. §762 Abs. 1 BGB und §2 Abs. 3 WpHG).

Hierauf reagierten beispielsweise die Critical Legal Studies, aber auch andere kritische Strömungen. Insbesondere im Bereich Law & Development kamen Ansätze auch in Deutschland an. Hieran kann angeknüpft werden, um mit Recht die Wirtschaftsordnung zu demokratisieren.

Beispiele hierfür sind die Debatten um Art. 15 GG, um GmbHs mit gebundenem Vermögen (Verantwortungseigentum) oder um die Unzumutbarkeit gem. §275 Abs. 2 BGB.

Ergänzende Gedanken aus der Diskussion

In der Genealogie fehlen sozialistische Ansätze aus dem 20. Jahrhundert wie Pashukanis, Sinsheimer etc. Zudem gibt es speziell im Arbeitsrecht eine wichtige Weimarer Tradition, die teilweise wieder aufgegriffen wird (Ruth Dukes).

Wie kann die polarisierte amerikanische LPE Diskussion mit einer reicheren theoretischen Tradition in Europa zusammen gebracht werden? (Peer Zumbansen)

Die LPE-Bewegung in den USA sollte nicht nur als Reaktion auf den Trumpismus, sondern vielmehr auf die Finanzkrise als Eye-Opener verstanden werden (Katharina Pistor).

Müssen wir nicht eher in die Zukunft schauen, wie die Rechtsverfassung zu gestalten wäre? (Matthias Goldmann). Es ist ebenso wichtig zu erfassen, woher eine theoretische Strömung kommt, um Koalitionen zu bilden (Katharina Pistor).

Tipps zum Weiterlesen

Ursprünglicher Ankündigungstext

Wir müssen über Macht reden. Dies ist eine zentrale Forderung des angloamerikanischen LPE-Projekts (kurz für: Law and Political Economy) und Ausgangspunkt auch europäischer und deutscher Überlegungen. Die Erzählung der unsichtbaren Hand des Marktes ist heute noch so aktuell wie im 18. Jahrhundert. Ihr neoliberaler Geist behandelt Freiheitsrechte und Märkte als naturgegeben. LPE stellt heraus, dass Märkte rechtsstaatlich (mit)geformt werden; dass Freiheitsrechte zugunsten von Gleichheit eingeschränkt werden können. Dafür analysiert LPE bestehende ökonomische Deutungsmuster und fragt, wie sie juristisches Denken in Rechtswissenschaft, -praxis und -politik prägen.

Mit dieser Ringvorlesung wollen wir euch - Studierenden, Wissenschaftler:innen und allen Interessierten - die Verknüpfungen von Recht, Politik und Ökonomie näher bringen und gemeinsam diskutieren.

Zunächst werden wir uns in einer Auftaktveranstaltung mit den Grundlagen der politischen Ökonomie vertraut machen. Politische Ökonomie behandelt, wie Vermögen, Macht und andere gesellschaftliche Ressourcen verteilt werden. Welche Rolle spielt das Recht dabei? Zu dieser Frage forschen Katharina Pistor und Betram Lomfeld. Sie werden uns zu Beginn der Veranstaltung einen ersten Eindruck von der Grundidee von "Recht und Politischer Ökonomie” geben und uns die Verflechtung von wirtschaftlicher Macht und Recht aufzeigen.

Katharina Pistor lehrt als Edwin B. Parker-Professorin für Rechtsvergleichung an der Columbia Law School (USA) und Direktorin des Zentrums für globale rechtliche Transformation. Im Jahr 2020 veröffentlichte Sie das Buch “Der Code des Kapitals - Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft”.

(c) Kurzeder

Betram Lomfeld ist ist Professor für Privatrecht, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie an der Freien Universität Berlin. Er ist leitender Redakteur der Zeitschrift polar und gründete das globale Netzwerk Private Law Theory, das die konstitutive soziale und politische Funktion des Privatrechts betont.

Aubau und Ziel unserer Ringvorlesung

Die Ringvorlesung ‘Macht. Ökonomie. Recht’ hat sich zum Ziel gesetzt, die Verknüpfungen des Rechts mit sozioökonomischen Machtverhältnissen zu untersuchen. Weil dies häufig sehr abstrakt sein kann, haben wir uns zum Ziel gesetzt, „Law and Political Economy“ (LPE) anhand konkreter Themen und Fragestellungen zu veranschaulichen.

In einem ersten Vorlesungsblock widmen wir uns dafür dem Thema Wohnen und untersuchen, welche Rolle das Recht in der Verteilung von Wohnraum spielt. Was sind die ökonomischen und politischen Grundlagen dieser Verteilungsordnung und wie werden sie (verfassungs-)rechtlich abgesichert?

Anschließend betrachten wir, wie auf subjektive Rechte zentriertes Datenschutzrecht bestehende Machtungleichgewichte in Dateninfrastrukturen verschärfen. Warum werden immer mehr Daten in großen Plattformen gebündelt, ohne dass Datenschutz- oder Kartellrecht etwas dagegen ausrichten können?

In einem weiteren Vortragsblock, soll der Frage nach gegangen werden, wie durch das Recht die Grundlage für das Finanzwesen und die Akkumulierung von Vermögen geschaffen wird. Der besondere Fokus soll dabei auf der Rolle des Öffentlichen Rechts liegen.

Im letzten Block bewegen wir uns von der institutionellen Ebene zum Rechtssubjekt. Ökonomische Ungleichheit klingt diffus. Sie betrifft aber Personen ganz real. Sie stigmatisiert Personen als „arm“, verfestigt Hürden und verhindert gesellschaftliche Teilhabe. Was macht das Sozialrecht dagegen? Kann Antidiskriminierungsrecht intersektional-klassistische Diskriminierung adressieren?

Anhand dieser vier Themenfelder, möchten wir aufzeigen, dass ökonomische Ungleichheit sich in konkreten, alltäglichen Bereichen manifestiert.

Die jeweiligen Veranstaltungen werden zum Teil online, zum Teil im hybriden Format gehalten. Jede Veranstaltung bietet also die Möglichkeit der digitalen Teilnahme.

Wir freuen uns auf Euch!

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